Frauen der Stille – Frauen des Lichts
Mary McGrath
Als die Amerikanerin Mary McGrath (1929-2001) zu Beginn der Siebzigerjahre in Kalifornien für sich die Philosophien und Religionen des Ostens entdeckte, folgten Reisen nach Indien und Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Maharishi Mahesh Yogi, Anandamayi Ma, Father Bede Griffiths, Ramesh Balsekar, Ammachi und natürlich Sathya Sai Baba, in dem sie ihren großen Lehrer fand.
Fasziniert von den vielfältigen und dennoch gemeinsamen Botschaften der mystischen und religiösen Traditionen der Welt, waren Frauen, die ihr Leben Gott geweiht hatten, ihr Lieblingsthema. In ihrem Buch erzählt sie u. a. aus dem Leben von Anandamayi Ma, von Savitri, der Königstochter aus dem Mahabharata-Epos, und von Codula, der erleuchteten Königin Indiens.
122 Seiten, broschiert
2. Auflage 2007
(Indische Ausgabe)
Bestell-Nr. 1095
Cudala – Erleuchtete Königin aus Indien
Cudala war eine Frau des alten Indiens, die keinen Augenblick unter Zweifeln an der Macht ihrer Weiblichkeit litt. Seit frühester Jugend war sie davon überzeugt, dass die Beschäftigung mit Belanglosigkeiten ein Hindernis auf dem Weg zur Erhabenheit darstelle. Wie war Cudala, die abgeschieden im Gebirgskönigreich ihres Vaters lebte, zu dieser Einsicht gelangt? Natürlich gab es Lehrer und Bücher in ihrem Leben. Ebenso gab es starke wie auch schwache Menschen in ihrem Umfeld, aber von größerer Bedeutung waren ihre Intuition und ihr forschender Intellekt.
Irgendwie, durch einen Glücksfall oder wie es sich später herausstellte, durch göttliche Bestimmung, entwickelte sie starkes Vertrauen in ihre innere Stimme. Dieser Aspekt ihrer Persönlichkeit erschien ihr am ehesten göttlich zu sein, und sie vertraute ihm. Natürlich spielte äußere Schönheit eine Rolle in Cudalas Leben, verdiente aber ihrer Meinung nach keine besondere Aufmerksamkeit. Schon als Kind war sie außergewöhnlich wissbegierig, und ihre Tage waren angefüllt mit Fragen, wie zum Beispiel: „Weshalb verblühen Rosen und kehren nicht zurück? Warum verschwinden Träume am Morgen, und wohin gehen sie? Weshalb weinen einige, während andere lachen?“ Zunächst stellte Cudala sich diese Fragen nur selbst, ohne die Antworten bei anderen zu suchen.
Als Cudala der Kindheit entwuchs und sich zu einer jungen Frau entwickelte, wurde sie sehr ernst, und ihre Suche intensivierte sich. Ihr Wissensdurst schloss alles und jeden in ihrem Umfeld ein.
Eines Tages erkannte Cudala plötzlich, dass sich ihr der Sinn der ganzen Welt offenbaren würde, wenn sie verstünde, woher ihre Gedanken kämen, und wohin sie gingen. In ihrem Herzen bestand kein Zweifel über diese Wahrheit, wenngleich sie nicht sagen konnte, wie sie zu diesem Wissen gelangt war. Nur Reinheit und Intuition konnten diese Art von Weisheit in einem noch so jungen Menschen erwachen lassen. Somit begann ihr spirituelles Suchen. Viele Heilige und Weisen haben sich dahingehend geäußert, dass das Herz einer Frau der Wahrheit näher stehe als das eines Mannes, und sie mit einem gewissen Maß an Intensität das Ziel schnell erreiche.
Im Laufe der Jahre erschienen wiederholt Prinzen und Könige am väterlichen Hof und hielten um die Hand der holden Cudala an. Sie empfing sie alle, ohne sich zu einem hingezogen zu fühlen, bis zur Ankunft Sikhidhvajas, des Königs von Malva. Schon sein Einzug in den Palasthof zeichnete ihn als einen Mann von Charakter aus. Nachdem sie einige Zeit miteinander verbracht hatten, erkannte sie in ihm einen Mann von beachtlichem Weitblick, der sowohl eine ihm intellektuell gleichgestellte Partnerin als auch eine Gemahlin mit höfischer Würde an seiner Seite brauchte. Im Gegensatz zu den damaligen Gepflogenheiten war ihre Vermählung nicht von den Eltern arrangiert worden, sondern sie hatten einander selbst erwählt.
Der Morgen des Hochzeitstages brach kühl und klar an, und der Hofgeistliche prophezeite eine äußerst segensreiche Ehe. Mit Juwelen behangen und von Blumen eingerahmt ging Cudala strahlend ihrem Bräutigam entgegen. Beider Augen begegneten sich, als sie vor dem Geistlichen standen, und von diesem Moment an schienen sie „eine Seele in zwei Körpern“ zu sein.
Es wurde allgemein angenommen, dass Cudala und Sikhidhvaja die geheiligte Lebensaufgabe zu erfüllen hatten, der Welt eine makellose Liebe vorzuleben. Von Anbeginn ihrer Ehe vereinten sie sich in der ihnen eigenen Anmut, stets darauf bedacht, jede aus ihrer Verbindung hervorgegangene Weisheit miteinander zu teilen. Ihr Verhältnis wurde nie durch einen scharfen Ton getrübt. Beider Hauptanliegen war es, unter allen Umständen aneinander Freude zu finden, und somit wurden sie für eine höhere Bestimmung vorbereitet, für ein göttliches Erwachen.
Im Laufe der dahineilenden Zeit wurde ihnen die vergängliche Natur aller Vergnügungen sowie ihr unvermeidliches Ende bewusst. Die Leere, die sie beschlich, schien unausweichlich, und schließlich wurden sie beide mit einer ganz gewöhnlichen Frage konfrontiert. Es war die immer wiederkehrende Frage, die schon viele an die Schwelle der Selbsterkenntnis geführt hat: „Was gibt es in dieser Welt, das, einmal errungen, den Geist für immer sorgenfrei sein lässt?“
Die Suche hatte begonnen. Sie erwarteten eine Antwort, denn die Frage hatte sich ihnen gleichzeitig und mit großer Dringlichkeit gestellt. Es gab für sie keinen anderen Weg mehr, den sie hätten einschlagen können. Sie wussten instinktiv, dass die Beschäftigung mit dieser Frage sie im wahrsten Sinne des Wortes retten würde, ganz zu schweigen von der Bereicherung, die ihre kostbare Partnerschaft dadurch erhalten würde. Damit begann ihre gewissenhafte Suche nach der Wahrheit. Sie erwarben alle verfügbaren Heiligen Schriften und lasen bis spät in die Nacht. Sie setzten sich mit den Erkenntnissen großer Heiliger und Weisen auseinander und erfuhren deren Einfluss, und sie unternahmen lange und beschwerliche Reisen, weitab der Sphäre ihrer früheren Zufriedenheit. Allein schon die Suche war ein Abenteuer, und der Austausch neuer Einsichten brachte sie einander immer näher.
Während sie eines Tages wie gewohnt zusammen studierten, nahm Sikhidhvaja plötzlich eine Veränderung im Aussehen seiner geliebten Frau wahr. Sie erschien ihm jünger und wie von einem strahlenden Licht erfüllt und umgeben. Auch Außenstehende drehten sich wiederholt bewundernd und ehrfürchtig nach ihr um. Zunächst erfreute es ihn, dass Cudala allem Anschein nach vom Altern verschont blieb. Vielleicht belohnten die Götter sie beide mit dem Elixier der ewigen Jugend, dachte er. Doch dann erkannte er, dass es sich hier nicht um eine Wundergabe handelte, einem Geschehen außerhalb ihrer selbst; die Götter hatten Cudala tatsächlich belohnt, aber mit einer Erleuchtung, die aus ihrem Inneren hervorging und sie mit dem zeitlosen Licht ihres eigenen Bewusstseins segnete.