Und wenn es Gott doch gäbe?
Milena Kunz-Bijno
Die Autorin ist Mitbegründerin der Sathya Sai Vereinigung und seit den Anfängen der Sai-Bewegung in Deutschland (1982) aktiv mit dabei. Ihr Buch enthält eine Briefesammlung und autobiografische Skizzen dieser Zeit, aufbewahrt in den Schubladen der Erinnerung. Damit gelingt ihr eine fesselnde Darstellung ihrer Begegnungen mit Sathya Sai Baba. Heute mögen Briefe zwar aus der Mode gekommen sein und fast museal anmuten – aber sie fesseln gerade, weil sie authentisch den Zeitgeist wiedergeben, in dem sie entstanden sind.
Format: 14,7 x 20,6 cm
334 Seiten, broschiert
1. Auflage 2022
Bestell-Nr. 1025
ISBN 978-3-96571-004-7
Das Interview
von Milena Kunz-Bijno
Es war Mai (1985) geworden und sehr heiß. In Puttaparthi konnte man nicht mehr atmen. Die Temperatur war auf über 40° Grad gestiegen und nicht auszuhalten. Sai Baba hatte Mitleid mit uns und entschloss sich, nach Kodaikanal zu fahren. Kodaikanal ist eine „Hillstation“ in den Bergen von Tamil Nadu, wohin die Inder in den heißen Sommermonaten fliehen, um in der Hitze nicht umzukommen. Im Aschram gab es daraufhin natürlich ein großes Durcheinander. Alle Devotees wollten Taxis bestellen und Swami folgen. Ich natürlich auch.
Damals gab es noch nicht die bequeme Autobahn, die jetzt Andhra Pradesh mit Tamil Nadu verbindet. Wir mussten auf ländlichen, staubigen Straßen die Berge erreichen. Ich hatte einen Fahrer mit einem alten Ambassador gefunden und zusammen mit einer Freundin die Fahrt unternommen. Acht oder mehr mühselige Stunden brauchten wir, um in die kühlen Regionen zu gelangen. Aber es lohnt sich. Eine herrliche Landschaft tat sich vor unseren Augen auf. Man konnte wieder atmen und sich am Leben freuen und es wieder fühlen! Und last but not least, gab Sai Baba den westlichen Devotees ein Interview.
Wir waren ungefähr zwölf, dreizehn Leute und saßen sehr aufgeregt zu seinen Füssen zwischen Blumenbeeten in einer herrlichen frischen Luft. Der Avatar, in bester Urlaubslaune, saß als Einziger entspannt auf einem Plastikstuhl.
Keiner hatte ein Tonbandgerät mitgenommen, weshalb nach Ende des Interviews diese Notizen entstanden. Sie sind vielleicht nicht vollständig, aber äußerst wichtig (ich werde D für Devotee schreiben und B für Sai Baba).
D: Swami, wie verhält man sich am besten der Welt gegenüber?
B: Denke nicht über die Welt nach. Verbringe deine Zeit nicht damit, über deine Beziehungen zu anderen Menschen oder zur Welt nachzudenken. Das sind alles vergängliche Beziehungen. Sie haben nur mit dem Körper zu tun. Der Körper ist wie eine Schaumblase auf dem Wasser. Das Gemüt (engl. mind) ist wie ein verrückter Affe. Folge weder dem Körper noch dem Gemüt. Folge dem Gewissen! Es steht über dem Gemüt, es ist von bleibender Dauer. Es ist die Stimme Gottes, die Stimme der unveränderlichen inneren Wahrheit.
D: Wie können wir die Stimme des Gewissens von anderen Stimmen unterscheiden?
B: Wenn viele Stimmen da sind, kannst du sie wahrnehmen, aber das ist kein Gewissen. Wahrnehmen steht immer in Beziehung zum niedrigen Selbst, zur Persönlichkeit. Es hat mit dem „Mind“ zu tun. Im Mind sind viele Stimmen und viele Verschiedenheiten, aber das Gewissen ist immer nur Eines, es ist unwandelbar. Versuch diese verschiedenen Begriffe zu verstehen: bewusst, Gewissen, Bewusstsein (engl. conscious, conscience, consciousness). Alle die verschiedenartigen Erscheinungen, alles, was mit der Welt der Sinne zu tun hat, kann man als Wahrnehmung bezeichnen. Der höchste Geist ist „Caitanya“. Das ist die eine, alles durchdringende Wirklichkeit. Aus Caitanya kommt das Gewissen, das die Stimme der inneren Wahrheit ist. Das Gewissen ist die Seele, der Funke des Göttlichen, die Göttlichkeit, die immer im Innern eines jeden lebt. Auf dem spirituellen Weg erhebst du dich von der weltlichen Ebene zur Göttlichkeit, die in deinem Herzen ist.
Das heißt, du erhebst dich von der Wahrnehmung zum Gewissen und dann zum höchsten Sein, zum reinen Bewusstsein. Dies sind die drei Stadien des Lebens. Das ist der Weg, den Jesus zeigte, und das ist auch dein Weg.
Zu Beginn bist du dir nur der physischen Verwandtschaft bewusst. Du sagst: Ich bin ein Devotee, ich bin ein Diener Gottes, ich bin ein Botschafter. Das ist der Zustand der Zweiheit (dwaita), Dualität. Zwischen dem Botschafter und Gott existiert ein sehr großer Unterschied. Es ist wie die Beziehung zwischen Meister und Diener, bei der Gott der Meister ist und du der Diener.
Das ist das Anfangsstadium der Hingabe. Danach sprichst du von einer inneren, subtilen Verwandtschaft. Du sagst: Ich bin der Sohn Gottes. Jetzt empfindest du ein enges Verwandtschaftsgefühl. Du und Gott seid, ihr seid euch nahe und lieb. Du hast keine äußere Beziehung mehr, sondern eine innere. Das ist der Zustand der relativen Nicht-Zweiheit (vishishtadvaita). Schließlich wird dir klar, dass da nur Eines ist. Jetzt fühlst du:
Ich und Gott, wir sind absolut untrennbar! Wir sind der eine Geist.
Das ist die wahre, ewige Beziehung zwischen dir und Gott. Das ist der Zustand von Advaita, in dem es keinen Dualismus mehr gibt. Es hat niemals einen Unterschied gegeben. Es gibt nicht ein getrenntes Ich und einen Gott. Es hat immer nur das Eine gegeben ohne ein Zweites. An diesem Punkt kannst du nur sagen: Ich bin ich. So Ham, Aham. In diesem letzten, endgültigen Zustand sagst du nicht einmal mehr „Ich bin Gott“, denn darin ist noch eine Spur von Zweiheit enthalten. Du sagst nur „Aham, Aham. Ich bin ich.“ Das ist die höchste Wahrheit. Um diesen allerhöchsten Zustand zu erreichen, darfst du dir niemals erlauben, zu denken, du und Gott seien getrennt. Denke immer:
Gott ist bei mir, in mir, um mich herum.
Überall ist Gott. Ich selbst bin Gott. Ich bin der Unendliche, der Ewige. Ich bin nicht Zwei. Ich bin Eins, nur Eins. Es gibt niemanden außer mir. Ich und Gott sind ein und dasselbe.
Wenn du diese Einheit erfahren willst, dann musst du als ersten Schritt Selbstvertrauen entwickeln. Das bedeutet, dass du ununterbrochen denkst: Gott ist in mir ... Gott tut alles ... ohne Gott kann ich nicht sein … all dies ist Gott … ich will nur an Gott denken.
Wenn dir absolut klar wird, dass Gott nicht außerhalb von dir ist, dann bekommst du Selbst-Vertrauen. Wo Selbst-Vertrauen ist, da ist Liebe, da ist Friede, da ist Wahrheit, da ist Gott. Darum musst du erst Selbst-Vertrauen haben und Liebe zu Gott.
Aber an was denkst du jetzt? Du denkst nur an die Materie. Du vergisst Gott. Du denkst an deinen Körper; der Körper ist nichts weiter als eine Schaumblase auf dem Wasser. Der Körper ist nur ein Kleid.