Das Nichthandeln
Aus der Erkenntnis, dass das TAO nicht nur Ursprung der Welt, sondern auch integraler Bestandteil und damit Lenker der Welt ist, folgt die Einsicht, dass der Mensch dem Werden in der Welt seinen Lauf lassen, also nicht in das ohnehin stattfindende Geschehen mit eigenem Wollen eingreifen sollte. Alle Dinge und Wesen verwirklichen ihren eigenen Weg, ihr eigenes TAO. Der Spontaneität ihren Lauf zu lassen und nicht einzugreifen, wird im Chinesischen „Wu Wei“ genannt, denn man versteht, dass sich die Dinge und ihr Verlauf selbst ordnen und sich selbst in ihrer Natur entfalten und verwirklichen. Das wird im Taoteking „Nichthandeln“ genannt.
Beim Nicht-Tun bleibt nichts ungetan.
Das ist nun für unser westliches Denken schwer zu verstehen und vor allem widersprüchlich, denn wir gehen davon aus, dass unser Handeln den Lauf der Welt bestimmt. Dieser Widerspruch aber löst sich auf, wenn wir Sai Babas Aussagen darüber, wie wir handeln sollen, in Betracht ziehen. Immer wieder weist er uns nämlich darauf hin, dass wir uns selbst nicht als die Handelnden verstehen, sondern das Handeln Gott überlassen sollen – in dem Sinne, dass wir uns als seine Instrumente betrachten.
Ihr solltet nicht aus selbstsüchtigen Gründen handeln, sondern zur Ehre Gottes, damit ihr dauernde Verdienste erwerbt und nicht nur einen vorübergehenden Nutzen habt. Das ist das Handeln, das in der Gītā als „Nicht-Handeln“ (nishkāmakarman) erwähnt wird. Das sind die wirklich echten Opferhandlungen (yajna).[i]
Das Nichthandeln, so wie es im Taoteking immer wieder angesprochen wird, meint also die Einstellung, die beim Handeln (das ja nicht zu vermeiden ist) vorherrscht. Wenn jemand aus der Überzeugung heraus handelt, dass der ihm innewohnende Gott der wahrhaft Handelnde ist, dann wird sein Tun absichtslos, es bringt keine Bindung mit sich und erzeugt somit auch kein Karma. Die „Früchte“ des Handelns, also die Ergebnisse, werden Gott überlassen. Daher empfiehlt Laotse:
Das Nicht-Handeln üben:
so kommt alles in Ordnung.
Es ist sinnlos, seine Energie in einem stetigen Willensakt von Handlung – des Eingreifens in das natürliche Wirken des TAO – zu verschwenden. Vielmehr sollte das Tun der vorhandenen natürlichen Ordnung entsprechen. Durch das reine und nicht selbstbezogene Bewusstsein wird ein Handeln möglich, das nicht durch eigene Wünsche und Begierden verblendet wird. Sai Baba zitiert auch die Bhagavad Gita:
Die Gītā lehrt uns, dass alles Tun, das uns zur Gotterkenntnis führen soll, von jeder Erfolgserwartung frei sein muss. Alle, die die Botschaft der Gītā verkünden, sagen uns, dass der Mensch nur das Recht zum Handeln hat, nicht aber das Recht, Anspruch auf die Früchte seines Handelns zu erheben.[ii]
Das Handeln als solches führt nicht zur Bindung, es sind die Motivation und die Einstellung, die die Qualität des Handelns bestimmen. Das TAO ist ohne Handeln – und doch gibt es Geschehen.
Das hohe LEBEN ist ohne Handeln und ohne Absicht.
Das niedere LEBEN handelt und hat Absichten:
Die Liebe handelt und hat nicht Absichten.
[i] Sathya Sai Baba spricht, Bd. 11, S. 115
[ii] Sommersegen in Brindavan 1, S. 202